Bremen und umzu

Die Regio-Challenge – 1 Woche essen, was in Bremen und um zu wächst

Iss, was um die Ecke wächst!?

Wir haben Glück, das ist bei uns so einiges. Wir wohnen mit auf einem alten Hof im Blockland und haben einen großen Garten. Am Vorabend der Challenge stelle ich schief grinsend fest: In diesem Garten ist uns in den letzten Wochen einiges durch die Lappen gegangen! Ich finde neben dem Möhrenbeet kleine, gelbe Tomaten, die mir noch gar nicht aufgefallen waren, Unmengen ungeernteter Bohnen und auch drei kleine Brokkoliröschen, mit denen keiner mehr gerechnet hatte. Ich muss zugeben: Trotz der Massen von Pflanzen, die da wuchern, stand bei uns in der Küche auch immer mal wieder gekauftes Gemüse herum und wurde aus Bequemlichkeit vorgezogen. Die erste Erkenntnis der Regio-Challenge ist somit: Es ist viel mehr da, als ich angenommen hatte und als wir normalerweise nutzen.

Und die zweite ist: Es macht Spaß, sich das abends in Ruhe zu pflücken, klein zu schneiden und in die Butterbrotsdose zu packen….insbesondere in dem Wissen, dass es Butterbrote nun wohl eine Woche lang nicht geben wird. Wir haben uns nicht ordentlich auf die Aktion vorbereitet und es versäumt, lokales Getreide aufzutreiben. Auch Öl, Gewürze und die Info, ob der Bauer um die Ecke, der selbst gemachten Käse verkauft, den auch mit eigenem Lab herstellt, fehlt. Also wird es wohl eine ziemlich gemüselastige Woche. Selbst das Obst, das wir letztes Jahr in Massen aus dem heimatlichen Werbergland herangekarrt haben, fehlt diesmal. Süß sind nur die Himbeeren – und Mitbewohnerin Kathi sei Dank: Honig. Sie hat es geschafft, in nur wenigen Monaten, eine reife Ernte ihrer ersten zwei Völker aus unserem Garten zu gewinnen.

Also besteht das Frühstück am ersten Morgen der Regio-Challenge aus einer großen Tasse Pfefferminz- und Salbeitee mit viel Honig und Himbeeren. Auf der Arbeit gibt es dann Möhren, Paprika und Tomaten. Und um zwölf Uhr stellen sich megamäßiger Hunger, Kopfschmerzen und eine allgemeine Flattrigkeit ein. Vor meinem Englischkurs fehlen mir irgendwann so sehr die Worte, dass ich den Schülern nur noch zuzischen kann: „Kaffeeentzug, sorry!“ Und mir kommt Erkenntnis Nummer drei: Ich bin echt süchtig!

Friedlich und entspannt werde ich erst wieder am Abend zu Hause, mit einer riesigen Portion Mangold-Omelette vor der Nase. Dank Mitbewohner Timo haben wir neuerdings Hühner! Und ganz von selbst ergeben sich dann auch meine beiden Joker: Salz uuuunnndBuuuuttttter (alleine wegen dem Heißhunger)! Zum Glück beides Sachen, die man bei der nächsten Regio-Challenge mit etwas besserer Vorbereitung auch lokal ergattern könnte. Ansonsten, stelle ich fest, fehlt einem auch erstmal nicht viel, wenn man keine Süchte hat…und dank fleißiger Mitbewohnergärtner viele, viele Sachen im Garten. Naja, vielleicht etwas, das schnell satt und fit macht! Zum Glück fällt mir noch ein Sack Walnüsse ein, er unten im Regal liegt und den ich monatelang ignorierte. Jippie, ruf ich jetzt, ein hungerstillender und konzentrationsfördernder Snack für den nächsten anstrengen Arbeitstag! Denn es hat sich schon am ersten Tag gezeigt, dass eines dieses gesamte Woche flach fällt: unterwegs mal eben Essen kaufen. Außer in Gemüse, das um meine Schule herum auch eh nicht zu bekommen ist, steckt eigentlich überall irgendwas Exotisches drin. Die vierte große Erkenntnis: In Bremer Imbissständen, Bäckereien und Supermärkten gibt es quasi gar nichts, das ausschließlich regional ist.

In Nieheim ist das anders. Dort hat Ludger, den ich Mittwochabend im Weserbergland besuche, inzwischen eine Flasche regionales Öl aufgetrieben. Die ersten beiden Tage hat er sich hauptsächlich von Birnen aus dem Baum vorm Haus ernährt und lächelnd die Fragen seiner neuen Kollegen beantwortet, die den Mann ausschließlich obstkauend kennen gelernt haben. Erst Mittwoch hat Ludger es in der Aufruhr seiner ersten Arbeitstage in einer neuen Firma geschafft, einen Biohof in der Region aufzutreiben und empfängt mich nun mit Ofengemüse und einem Kühlschrank voller herbstlicher Gaben. Besonders der Blumenkohl bringt mich zum Jubilieren. Den hatte ich diese Woche noch nicht.

Am nächsten Tag bin ich bei meinen Eltern und eine neue Ära bricht an. Hier gibt es endlich wieder Getreide und Obst. Beides in Massen: Ich stiefele das erste Mal seit zehn Jahren auf unseren Kornboden und fülle mir Weizen für Frischkornbrei ab. Dann pflücke ich wie wahnsinnig Pflaumen, Äpfel und Birnen. Erkenntnis Nummer 5 ist eigentlich schon alt: Es ist eine Wonne, was hier überall am Straßenrand wächst und ein Wahnsinn, wie viel davon einfach vergammelt, während die Leute im Rewe und Aldi Mangos und Kiwis shoppen!

Mittags gibt es wieder mal Möhren, Paprika, diesmal allerdings warm, zum Glück habe ich frei,  uuuuund Butter mit Kartoffeln. Dieser Pflanze danke ich von Herzen, dass sie mich satt über die Woche bringt! Aber stammt sie nicht ursprünglich auch aus dem fernen Südamerika? Was haben unsere Vorfahren eigentlich gegessen? Mein Bruder, der Jäger, grinst, und drückt mir ein Paket eingefrorenes Wildschwein in die Hand.

Freitagnachmittag passiert dann etwas, womit ich nicht mehr gerechnet hatte: Ich kann einer spontanen Einladung zum Essen folgen, von Leuten, die gar nichts von der Regio-Challenge wissen! Nachdem ich Birgits Vorschlag, Eis essen zu gehen, ausschlagen musste und sie stattdessen überreden konnte, mit mir weiter Äpfel zu ernten, fragt mich ihre Mutter, ebenfalls Bäuerin, ob ich noch etwas Bohnensuppe will. „Alles aus dem Garten?“ „Klar, alles aus dem Garten!“ Juhu!

Was die Gewürze angeht und das Essig, frage ich allerdings besser nicht nach. Dieses Verhalten schleicht sich langsam ein. Ich esse auch die Reibeplätzchen meiner Mutter und das zuckerhaltige Apfel- und Pflaumenmus, das es dazu gibt. Denn, Erkenntnis Nummer 6: Selbst, wenn wir es gut meinen und uns größtenteils autark versorgen, tauchen doch immer basale Zutaten auf, die eine weite Reise hinter sich haben. Außer reinem Obst und Gemüse gibt es in meinem normalen Alltag quasi nichts, das ausschließlich aus der Region auf meinen Tisch kommt. Das macht mir ein seltsames Gefühl und mit der Zeit entsteht eine gewisse Abneigung, sogar ein kleiner Ekel vor Supermarktregalen und den Fressständen am Bahnhof, deren Gerüche mich normalerweise durchaus locken.

Am Wochenende bin ich dann auf einem Seminar. Im Vorfeld habe ich meiner Companera Sophie, die das ganze mit mir vorbereitet hat, mit meiner Ansage, dass unsere Versorgung regio-challenge-konform sein sollte, die Schweißperlen ins Gesicht getrieben. Also gebe ich achselzuckend den erwünschten Ingwer, Pfeffer, Knoblauch und Olivenöl ins das Gemüse, das sie vom Biolandhof um die Ecke besorgt hat. Und gönne mir schließlich auch ein große Stück vom Apple-Crumble und ein kleines von dem wunderbaren Käse und Brot, das auf dem Frühstückstisch steht.  Aber ich merke sehr wohl, was das mit meinem Magen macht! Erkenntnis Nummer 7: Die Regio-Challenge-Diät macht mich wach und strahlend und das, was ich üblicherweise so in mich reinstopfe, macht ziemlich müde und kaputt! Vor allem der Kaffee und die Kippen…

Das will ich mir in Zukunft auch sparen und sage stolz: Yep, auch Tag 1 nach der Challenge war ein kaffeefreier Tag! Das Gespräch mit einer Kollegin, das wir im Zuge der Aktion über Kaffeeentzug geführt haben, hat mich endgültig dazu bewegt, diesem Teufelszeug als unersetzlichem Wachmacher abzuschwören. Zukünftig will ich den nur noch für den Genuss, den Genuss! Der war sowieso das Beste an der Sache. Der unerwartete Genuss, der einem plötzlich eine gut gewachsene Möhre oder die so lange ignorierten Wal- und Haselnüssen, die bei meinen Eltern immer rumstehen, bringt, oder die erste zuckersüße Pflaume des Jahres! Und auch der Genuss bei den kleinen Sünden, der einen erst wieder schätzen hat lassen, wie großartig Oliven oder Vollkornbrot mit exotischen Samen schmecken! Der Genuss und die Gespräche: Stundenlang konnte ich mit meinem Mitstreitern darüber sinnieren, wie groß und klein unsere Möglichkeiten sind, was man morgen noch kochen und heute noch als Nachtsnack nehmen könnte. Und genauso gut waren die Gespräche mit den Leuten, die anfangs den Kopf schüttelten über die Aktion und dann auch ins Fragen, Denken, Spielen kamen.

Das Fazit also: die Regio-Challenge hat Verbindung geschaffen. Zwischen mir und dem, was ich in meinen Körper lasse. Und zwischen den Menschen, die Wind von der Sache bekommen haben,  mitgepustet haben und gespannt sind, wie es weiter weht.

Für mich wird es auf jeden Fall irgendeine Art von Fortsetzung geben.

Doro